Leseförderung
1. Was ist Lesen?Gemäß der internationalen Forschungsliteratur verstehen wir Lesen als aktive, durch den Leser oder die Leserin gesteuerte Informationsverarbeitung, d.h. die Informationen liegen nicht einfach zur Entnahme im Text bereit, sondern müssen vom Leser gedanklich erarbeitet werden. |
Beispiel 1:
Peter liest den Text im Lesebuch recht schnell vor und bemüht sich teilweise auch um eine richtige Betonung. Als die Lehrerin ihm eine recht inhaltliche Frage zum Text stellt, kann er diese nur sehr oberflächlich beantworten. Seine Augen irren im Text umher, auf der Suche nach einer Textstelle, die ihm bei der Beantwortung der Frage helfen könnte.
Beispiel 2:
Max liest zunächst leise die Überschrift des Lesebuchtextes. Er lacht und wird neugierig auf den Text. Anschließend überfliegt er den Text zuerst mit den Augen, nimmt Schlüsselwörter der Textabschnitte wahr und gleicht sie mit seiner Leseerwartung ab. Dann beginnt er leise den Text zu lesen. Ab und zu wandern seine Augen im Text zurück und er vergewissert sich des bisher Gelesenen.
Anschließende inhaltliche Fragen seiner Lehrerin zum Text kann Max konkret beantworten. Darüber hinaus kann er Schlussfolgerungen aus dem Gelesenen für sich ziehen und einen eigenen Standpunkt formulieren.
Insbesondere die PISA-Studie belegte, dass ca. ein Viertel der 15-Jährigen in Deutschland kaum über Lesestrategien verfügt und selbst einfachste Informationen einem Text nicht oder nur schwer entnehmen kann (Beispiel 1).
Die IGLU-Studie zeigte hingegen, dass die deutschen Grundschulkinder am Ende ihrer Grundschulzeit in ihrer Lesekompetenz international vergleichsweise gut abschneiden und die Anzahl echter Risikokinder gering ist. Allerdings bedarf ein Drittel des vierten Jahrganges nach dem Übergang in die Sekundarstufe I weiterhin einer systematischen Leseförderung. Diese Kinder können bereits einfache Informationen einem Text entnehmen und befinden sich auf der Lesekompetenzstufe 2, entwickeln sich jedoch scheinbar in ihrer Lesefertigkeit in den nachfolgenden Schuljahren der Sekundarstufe I nur wenig weiter.
Die gezielte Förderung von Lesestrategien haben wir uns daher verstärkt in unserem Unterricht zur Aufgabe gemacht (Gute Leser wenden solche Strategien an – siehe die obigen Beispiele).
Im Leseunterricht der einzelnen Jahrgangsstufen wird ein gezieltes Lesetraining, welches Lesestrategien vermittelt und übt, einbezogen.
Die Fähigkeit zur Nutzung von Lesestrategien macht jedoch Lesekompetenz alleine nicht aus. Um sich zu einem kompetenten Leser entwickeln zu können, müssen wir unseren Kindern zudem ermöglichen,
- eine stabile Lesemotivation und eigene Leseinteressen auszubilden,
- innere Vorstellungsbilder beim literarischen Lesen zu entwickeln und diese auch zu verschriften,
- über Gelesenes alleine und gemeinsam nachzudenken und sich hierüber auszutauschen.
Ein vielfältiges Angebot altersgemäßer und vom Leseschwierigkeitsgrad her unterschiedlicher Kinderliteratur (und zwar sowohl in den einzelnen Klassen als auch in einer Schülerbibliothek), welches für Kinder sowohl ansprechend als auch interessant ist und neben Informationen und Fakten auch Ideen, Wertvorstellungen und kulturelle Inhalte vermittelt, ist für eine erfolgreiche Leseförderung unerlässlich. Hierdurch können Kinder sich im Laufe der Zeit ihre eigene Welt und neue Lebensbereiche erschließen.
2. Ziele gemeinsamer Leseförderung in Elternhaus und Schule
Die Chancen unserer Schulkinder, gute „Leser“ zu werden, hängen nach übereinstimmenden internationalen wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen von ihren jeweiligen Lebensumständen ab. Sowohl ihre Eltern als auch wir als Grundschule tragen hierfür eine besondere Verantwortung. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, jedem Kind bis zum Ende der Grundschulzeit folgende Erfahrungen zu ermöglichen:
(in Anlehnung an A. Wedel-Wolff) |
3. Wie können Eltern das Leseinteresse ihres Kindes wecken und eine positive Leseentwicklung im Verlauf der Grundschulzeit unterstützen?
Sie helfen Ihrem Kind
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4. Wie fördern wir als Grundschule die positive Leseentwicklung unserer Schülerinnen und Schüler?
In Anlehnung an die PISA-Studie setzen wir neben der kognitiven Dimension der Lesekompetenz mit der Bildung von Lesemotivation einen zweiten wichtigen Schwerpunkt in der Leseförderung.
Es soll dabei die Fähigkeit ausgebaut werden, schriftsprachliche Texte als etwas Bedeutungsvolles wahrzunehmen, ihnen positive Leseerwartungen entgegenzubringen, Ausdauer zu fördern und das Bedürfnis nach Verstehen aufrecht zu erhalten.
Lesen muss als sinnvolle Tätigkeit erlebt werden, um ein Leseinteresse aufbauen zu können.
Die Motivation zum Lesen ist somit ein Teil der Lesekompetenz.
Beim Aufbau einer „Lesekultur“ berücksichtigen wir ebenfalls emotionale Faktoren. Die Kinder erhalten die Möglichkeit, Texte bedürfnisbezogen auszuwählen, um eigene Erfahrungen und Gefühlserlebnisse mit dem Lesen zu verbinden und diese zu genießen.
Im Unterricht und in der KlasseVorlesen (ab Klasse 1) Klassenlektüre (ab Ende Klasse 1) Klassenbücherei (ab Klasse 1) Antolin-Internet-Leseportal (ab Klasse 1) Lesetagebuch (ab Mitte Klasse 2) Klassenleseliste (ab Klasse 3) optional oder ggf. auch verpflichtend für einzelne Kinder Leseeltern/-großeltern – gemeinsames Lesen (ab Klasse 1) Leseeltern– individuelles Lesen (ab Klasse 1) |
Im SchullebenSchülerbücherei mit freier Lesezeit und zukünftiger Ausleihe Abend rund um’s Buch (optional) Thematische Buchausstellungen des „Kleinen Ladens, Bonn“ im Rahmen unserer Projektwochen (optional) Autorenlesung Vorleseaktionen „Große lesen für Kleine“
Vorleseaktion rund um den Welttag des Buches: „Vorlesen an besonderen Orten“ Projektwochen Kooperation mit der Stadtteilbücherei:
Buchausstellungen in der Vitrine |
5. Mit welcher Methode lernen unsere Erstklässler das Lesen- und Schreibenlernen?
Bereits bei der Überprüfung der Schulneulinge im Rahmen des Einschulungsverfahrens sowie in den ersten Schulwochen beobachten wir die Kinder im Hinblick auf ihre Vorläuferkompetenzen für das Lesen- und Schreibenlernen. In einem in den ersten Schulwochen einsetzenden Förderkurs führen wir mit betroffenen Kindern ein Training zur Förderung der phonologischen Bewusstheit durch, um sie in diesen Kompetenzbereichen zusätzlich zu fördern.
Der Anfangsunterricht im Lesen- und Schreibenlernen wird nach einem integrativen Schrifterfahrungsansatz durchgeführt, in welchem Schreib- und Leselernangebote aufeinander bezogen sind und zeitgleich erarbeitet werden.
Hierbei dient dem Kind die Anlauttabelle beim freien Schreiben als Verschriftungshilfe, indem zum abgehörten Laut der passende Buchstabe gefunden und aufgeschrieben wird. Gleichzeitig kann die Anlauttabelle auch Lesehilfe sein, indem beim Erlesen von Wörtern, deren Buchstaben bekannt sind, der passende Laut auf der Tabelle gefunden wird. Durch eine Vielzahl von Übungen im Umgang mit der Anlauttabelle schreiben die Kinder schon recht bald erste Wörter lautorientiert auf. Gleichzeitig wird jeder Buchstabe systematisch als Buchstabe der Woche erarbeitet, und es werden wichtige Leseverfahren eingeführt. So wird Lesen und Schreiben eng miteinander verknüpft.
Jeder Erstklässler schreibt gemäß seinem eigenen Entwicklungstempo lautorientiert zunächst einzelne Wörter, dann kleine Sätze oder Texte auf und beginnt mit seinen ersten eigenständigen Leseversuchen. Hierbei durchläuft er ein Angebot von Leseheften mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad und erschließt sich dieses in seinem individuellen Lesefortschritt. Dies wird im Lesepass dokumentiert. Aufgabe der Lehrerin ist es hierbei, jedem Kind zum richtigen Zeitpunkt das richtige Leseangebot zu machen.
So wird die Freude über die eigene Könnenserfahrung geweckt und eine innere Lesemotivation entwickelt. Schneller lernende Kinder arbeiten sich so rasch zu ersten Kinderbüchern vor, die sie sich in der Schülerbücherei ausleihen. Langsamer lernende Kinder benötigen für die Erwerbsprozesse häufig mehr Zeit und verweilen über einen längeren Zeitraum bei den Erstleseheften.
Diese Individualisierung des Leselernprozesses macht langfristig eine sehr gute Ausstattung der Klassen bzw. der Lerngruppen der Schuleingangsphase sowie der Schülerbücherei mit motivierenden und im Leseschwierigkeitsgrad aufsteigenden Kinder- und Sachbüchern notwendig. Mit der finanziellen Unterstützung des Fördervereins arbeiten wir daran, unseren Schulkindern diese Angebote machen zu können. Über Spenden zur weiteren Verbesserung unserer literarischen Ausstattung in den Klassen und unserer Schülerbücherei freuen wir uns sehr.
6. Welche Lesestrategien üben wir mit den Kindern im weiterführenden Leseunterricht?
Ausbau der Lesekompetenz
Hat das Kind die Fertigkeit des Lesens erworben, setzen wir Lesetexte mit höherem Anspruch im Hiblick auf Qualität und Quantität ein, um so die Lesekompetenz weiter zu steigern. Hierbei ist jedoch die konsequente Einbettung des Textes in den situativen Zusammenhang des Unterrichts von großer Wichtigkeit. Nur so kann das Interesse des Kindes am Text und seinem Inhalt bzw. seiner Aussage geweckt werden. Unser Ziel ist es, dass jedes Kind bis zum Ende der Schuleingangsphase (Klasse 2) die Lesekompetenzstufen I und II der OECD (PISA/IGLU-Tests) erreicht hat. Diese werden durch das Anbieten konkreter Aufgabenstellungen zu den Lesetexten gefördert:
Hat das Kind die Fertigkeit des Lesens erworben, setzen wir Lesetexte mit höherem Anspruch im Hinblick auf Qualität und Quantität ein, um so die Lesekompetenz zu steigern. Unsere Zielsetzungen für das Ende der Klasse 1/ 2 entsprechen den Lesekompetenzstufen I und II der OECD (nach OECD/ Statistics Canada, 1995). Diese werden durch das Anbieten konkreter Aufgabenstellungen zu den jeweiligen Lesetexten herausgefordert:
Kompetenzstufe | Kompetenz | Aufgabentypen |
Kompetenzstufe I | gesuchte Wörter in einem Text erkennen |
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Kompetenzstufe II | angegebene Sachverhalte aus einer Textpassage erschließen |
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Weitere Maßnahmen zum Erreichen der Lesekompetenzstufen I und II sind:
- Sätze sinnbetont lesen;
- Informationen entnehmen und überprüfen/ textbezogene Fragen beantworten;
- zu Texten Bilder/ Skizzen anfertigen;
- Meinungen zu einem Text selbst formulieren.
In den Jahrgangsstufen 3/ 4
Wir orientieren uns an den Kompetenzstufen der OECD und verfolgen das Ziel, die Kinder auf den Kompetenzstufen III und IV zu fördern. Bei einzelnen Kindern muss die Förderung auch schon bei Stufe II ansetzen. Eine wichtige Grundlage sind auch die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten im Teilbereich „Lesen“ (VERA).
Lesekompetenzstufen nach IGLU (OECD)
II angegebene Sachverhalte aus einer Textpassage erschließen
III Implizit im Text enthaltene Sachverhalte aufgrund des Kontextes erschließen
IV Mehrere Textpassagen sinnvoll miteinander in Beziehung setzen
Bausteine zur Förderung der Lesekompetenz (Stufe III und IV)
Damit wir eine Förderung der Lesekompetenz auf den Stufen III und IV erreichen können, setzen wir im Unterricht unterschiedliche Schwerpunkte. Hauptanliegen ist es, den Kindern in den verbleibenden beiden Grundschuljahren eine Strategieorientierung näher zu bringen, die die Strategien „vor“, „während“ und „nach“ dem Lesen beinhaltet. Auf der Stufe III schulen wir die Fähigkeit, die in einem Text enthaltenen Informationen unabhängig von der konkreten sprachlichen Formulierung entnehmen zu können.
Die folgende Übersicht zeigt die strukturierte Abfolge der zu lernenden Strategien mit entsprechenden Übungen zur Einführung und Vertiefung dieser:
Lesestrategien |
Bereich |
Übungen |
Vor dem Lesen
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Vorwissen
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Antizipieren |
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Überfliegen |
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Während des Lesens
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Text genau lesen |
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Unverstandenes klären |
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unterstreichen/markieren |
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den Text gliedern/ Überschriften finden |
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Fragen an den Text stellen |
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Stichwörter aufschreiben |
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Nach dem Lesen
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Stichwortzettel nutzen |
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Die oben stehenden Lesestrategien sollen von den Kindern am Ende des 3. Schuljahres gekannt und selbstständig durchgeführt werden können. Zu Beginn der Klasse 4 müssen diese noch einmal wiederholt werden. Um die Arbeit am Text, bzw. den Weg hin zum Verstehen eines gegebenen Textes zu verkürzen, werden die bekannten Strategien des Lesens anschließend zu den nachfolgend dargestellten zusammengefasst. Die Darstellung orientiert sich an der 5-Gang- Lesetechnik:
Die 5-Gang- Lesetechnik nach Klippert besteht aus 5 Strategien, die, wenn sie nacheinander angewendet werden und durch wiederholtes Üben dazu beitragen, das Textverständnis erheblich zu verbessern.
Im ersten Gang wird der Text zunächst überflogen (diagonales Lesen). Hierbei soll festgestellt werden, was bekannt erscheint und worum es insgesamt geht. Das Lesen der Überschrift hilft, einen ersten Eindruck über den Inhalt des Textes zu gewinnen.
Im zweiten Gang sollen Fragen an den Text gestellt werden und zwar solche, die der Text explizit beantwortet. Besonders eignen sich dafür W-Fragen.
Im dritten Gang steht das gründliche Lesen im Vordergrund. Daran schließt sich der nächste Gang an, in dem Notizen zum Text gemacht werden sollen.
Zum Schluss sollen die aufgeschriebenen Informationen noch einmal gelesen und laut wiedergegeben werden.
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Literatur:
- Baumert, J. u.a. (Hrsg.) (2001): PISA 2000. Opladen
- Bartnitzky,H.: Lesekompetenz – was ist das und wie fördert man sie?
In: GSV aktuell (2003), Heft 84, S. 3-10 - GSV aktuell (2003), Heft 82
- GSV aktuell (2003), Heft 83
- Hecker, H.: Lesekompetenz entwickeln und würdigen. In: GSV (2003), Heft 84, S. 11-14
- Wedel-Wolff, A.(2004): Üben im Leseunterricht der Grundschule. Braunschweig